• Mit dem Fahrrad von Kappel nach Mallorca.

    Ein Reisebericht vom 16.09. - 27.09.2013

    Viel Spaß beim Mitreisen!


    1. Tag / Kappel-Yverdon les bains / 130km

    Endlich kann es losgehen. Die monatelangen Vorbereitungen sind abgeschlossen. Susanne endlich „erlöst“, weil sich in den letzten Wochen nur noch alles über diese Tour gedreht hat. Am Morgen bin ich schon mit einem kleinen flauen Magen aufgestanden, denn nebst der Herausforderung und der Nervosität ist noch das schlechte Wetter dazugekommen. Nach dem Packen habe ich das ganze Gepäck auf das Fahrrad aufgeschnallt. Dabei ist mir der „Göpel“ fast übers Hinterrad weggekippt. Bei der Gewichtmessung sind etwas mehr als 20kg auf der Waage gestanden. Das Zusatzgewicht beträgt also rund 12kg. Dass sich das Fahrverhalten dabei grundlegend ändert, musste ich schon auf den ersten Metern feststellen.

    Als Verabschiedungskomitee kamen meine Schwägerin Corina, Schwager François, Nachbarn Toni und Alice und meine Eltern. Um 8:30 Uhr ging das Abenteuer also los.

    Die Fahrtgeschwindigkeit war wegen dem Zusatzgewicht und dem Gegenwind etwas geringer als angenommen. In Niederbipp musste ich dann den kompletten Regenschutz anziehen, da es stärker zu regnen begann. Kurz vor Solothurn war dann der Regen so stark, dass ich beschlossen habe, einen Kaffeehalt einzulegen. Dabei konsultierte ich immer wieder das search-app, wo man die Niederschläge orten konnte. Nach gut 1 ½ Stunden hat der Regen ein bisschen nachgelassen und ich habe mich wieder auf den Sattel gewagt. Doch schon ein paar Kilometer nach Solothurn hat Petrus wieder die Schleusen geöffnet und es wieder ordentlich schütten lassen. Normalerweise ist die Bieler- und Neuenburgsee-Region ein optischer Hingucker, aber heute konnte ich mich an diesem Anblick nicht erfreuen, da mir zeitweise sogar das Regenwasser aus der Nase lief. Hinzu kam, dass der Wind immer böiger wurde. Nach 130km hatte ich dann die Schnauze sprichwörtlich voll und bin in Yverdon vom Rad gestiegen. Vorher habe ich noch schnell per Handy die aktuellen Hotels in Yverdon recherchiert und mich dann im Hotel Prairie eingecheckt. An der Rezeption meinten sie zuerst, dass ich mein Fahrrad draußen abstellen könne. Nach meiner kleinen Intervention durfte ich es dann sogar im Ballsaal auf Parkettboden parkieren.

    Das Zimmer war okay, wenn auch die Einrichtung etwas in die Jahre gekommen ist. Am Abend ein Stück Fleisch mit Teigwaren und im Zimmer noch ein bisschen die Beine gepflegt. So kann es dann morgen in aller Früh wieder losgehen.

    Viel Spaß den Leserinnen und Lesern. Bis morgen!



  • 2. Tag / Yverdon les bains-Annecy / 135km

    Oh Schreck. Als ich am Morgen um 6:30 Uhr aufgestanden bin, hat es draußen wieder mal ordentlich geregnet. Nach dem Frühstück hat sich dieser aber etwas verzogen und es waren „nur“ noch schwere Wolken am Himmel.

    Als ich dann um halb zehn losgefahren bin, ging es gleich nach Yverdon eine ordentliche Steigung in Richtung Echallens hoch. Zudem blies auch heute wieder einmal der Wind von vorne. Der Blick zurück zeigte mir, dass das Wetter in Richtung Neuenburg wohl etwas besser war. Die rasante Fahrt hinunter nach Lausanne hat dann auch nicht so richtig Spaß gemacht, denn der Wind wurde Richtung See immer stärker. In Rolle stieg ich das erste Mal ab, um meine Bidons wieder zu „laden“. Trinken mochte ich auch nicht recht, denn das Thermometer fiel zwischendurch unter 10 Grad.

    Zwischen Rolle und Nyon hat es dann noch begonnen zu regnen, und der Blick in Richtung Genf zeigte eine Gewitterfront. So hab ich mir am Hafen von Nyon ein Mittagessen gegönnt und gewartet, bis der Regen vorüber war. Weiter ging es nach Genf, wo ich noch ein Bild vom „jet d’eau“ geschossen habe. Dieser Wasserstrahl ist bis zu 140m hoch und diente ursprünglich eigentlich als Überdruckventil für eine Druckwasserleitung von 1885. Damals war der Strahl aber nicht so hoch!

    Nachdem ich mir den Weg durch den dichten Verkehr von Genf gebahnt habe, bin ich dann um 15:15 Uhr in Prully über die Grenze gefahren. Danach ging es nur einmal bergauf. Wenn man vom Genfersee in Richtung Süden schaut, sieht man ja nur Berge. Ich hatte das Vergnügen, mit dem Radel darüber zu kriechen.

    Nach wieder einer rasanten Abfahrt nach dem Mt. du Sion bin ich nach 135km in Annecy in den Savoyen angekommen. Diese Stadt war einmal die Hauptstadt der Savoyen.

    Auf dem Internet habe ich mir dann das Hotel Best Western Carlton ausgesucht und bin, gelotst vom TomTom, durch die Fußgängerzone zu diesem Hotel gefahren. Nachdem ich das Rad im Technikraum verstaut und mich geduscht hatte, bin ich zu Fuß ein bisschen durch die Altstadt geschlendert und habe wunderschöne Orte entdeckt.

    Zum Lohn für den heutigen Tag gab es dann „e Mocke Fleisch mit Pommes“.

    Heute heißt es früh ins Körbchen, denn morgen möchte ich früher starten. Erstens, weil wieder einmal Regen angesagt ist und mein nächstes Etappenziel Grenoble rund 110km entfernt liegt. Da habe ich ein tolles Hotel zu einem günstigen Preis über yeego.com reserviert und ich möchte die Einrichtungen nach getaner Arbeit ein bisschen genießen.

    Morgen mehr dazu...

    P.S.: Liebe Leser/innen! Schreibt mir doch eine Mail, ob euch die Berichte so gefallen. Zu kurz, zu lang, zu langweilig oder ?????? Freue mich auf eure Zuschriften auf msulzer@bluewin.ch



  • 3. Tag / Annecy –Col de Plainpalais-Chambéry-Grenoble / 80km

    Erstens kommt es anders, als man denkt. Dieser Spruch hat am heutigen Tag besonders zugeschlagen... Aber der Reihe nach.

    Am Morgen hat es schon wie gewohnt geregnet. Ich habe mich langsam daran gewöhnt und mein Regentenue montiert. Danach habe ich noch mein iPhone auf dem extra montierten Halter auf dem Lenker eingeklickt, damit ich den Weg aus dem Städtchen sauber finde. Nach ein paar hundert Metern musste ich mein iPhone von der Straße auflesen, denn der Halter hat sich nach einem Schlagloch selbstständig in alle Einzelteile zerlegt. Nachdem ich das Teil mit Isolierband wieder notdürftig geklebt hatte, ging die Reise in die Berge. Stetige Steigungen waren meine Begleiter, bis dann der Anstieg auf den Col du Plainpalais begonnen hat. Dabei hat es so schwer geregnet, dass mir das Wasser von außen und der Schweiß innen durch die Kleider ging. Vorbei an schönen Kulissen, die ich irgendwie nicht recht genießen konnte, ging es Richtung Passhöhe. Als dann ganz oben auf fast 1'200 m.ü.M. noch leichter Schneeregen einsetzte, war meine Freude endgültig vorbei, und die Kühe haben einen fluchenden Velofahrer in Zeitlupe bestaunt. Die fast 20km lange Abfahrt nach Chambéry war auch keine Freude, denn die Sicht war durch Nebel beeinträchtigt und ich habe mir fast die Finger abgefroren. Zusätzlich haben sich vom vielen Bremsen noch die hinteren Bremsklötze verabschiedet... So beschloss ich, von Chambéry nach Grenoble den Zug zu nehmen, damit ich mein Hotel noch etwas genießen konnte.

    Im Zug hab ich mich dann umgezogen. Als dann eine junge Dame auf dem Weg ins Klo noch mein Velo umriss und dabei meine Schuhüberzüge abhandengekommen sind, war das nur eine Nebenerscheinung.

    In Grenoble angekommen sollte eigentlich die Fahrt zum Hotel „nur“ rund 5km dauern. Da sich aber mein TomTom wegen Batteriemangels verabschiedet hat, musste ich nach dem Weg fragen. So viel zum geografischen Wissen der Franzosen. Sch... Einmal bin ich fast auf der Autobahn gelandet und das andere Mal in die völlig falsche Richtung gefahren. So beschloss ich, bei einem Espresso mein iPhone zu laden, damit ich wieder navigieren konnte. Nach fast 18km Umwegen bin ich dann endlich im Hotel angekommen. Auf diesem Weg hat es wieder alle Schleusen geöffnet, sodass ich also auch die 2. Garnitur Kleider durchnässt habe.

    Auf den letzten Kilometern meldeten sich komische Geräusche von meinem Tretlager, die trotz Einsatz von WD-40 nicht verstummten. Also fragte ich den Hotelmanager, wo es den nächsten Mechaniker gäbe. Die Wegbeschreibung verhieß auch in diesem Fall keine große Kompetenz. Im Hof waren zwei Männer gerade beschäftigt, Zelte für einen Event aufzustellen. Ich fragte kurzerhand, ob sie mich mit dem Lieferwagen dorthin fahren könnten. Pierre und sein Mitarbeiter aus Kamerun willigten ein und führten mich und mein Velo zum nächsten Mechaniker. Pierre hat mir dann auf dem ganzen Weg die politische und wirtschaftliche Situation von Frankreich erklärt und dass er, um sich und die Familie über Wasser zu halten, drei Geschäfte führen muss. Unschwer zu erkennen war, dass er wohl politisch nicht links wählt.

    Der Mechaniker wollte das Rad innert zwei Tagen reparieren, was mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Als ich auf das Schweizer Kreuz auf meinem Rahmen zeigte und meine Route erklärte, nahmen sie sich dem Velo an. Eine Auswechslung von Bremsen und Tretlager später war mein Velo fast wieder wie neu, und sogar ein neuer iPhone-Halter und Regenüberzüge sind wieder mein Eigen. Zufrieden und ein paar Witze später war ich aus dem Laden und... und es hat wieder einmal geregnet. So war auch meine Zip-Hose und mein Shirt im Eimer, was aber der Föhn und die Heizung vor dem Nachtessen noch richten konnten.

    So kam ich kurz vor sieben wieder im Hotel an, und es hat selbstverständlich nicht gereicht, die Wellness-Einrichtungen zu besuchen. Denn ich musste ja zuerst noch eine Badewanne voll Wäsche machen, damit ich morgen wieder top ausgerüstet bin.

    Zum Nachtessen habe ich es mir ordentlich gut gehen lassen, damit ich die ersten Kilometer der Route Napoleon in Angriff nehmen kann. Hoffe, es regnet wieder, denn sonst würde ich etwas vermissen... ☺

    P.S.: Vielen Dank auch noch für die vielen Mails, die ich bekommen habe. Die aufmunternden Worte haben mir sehr gefallen, und so schreibt man doch gerne...



  • 4. Tag / Grenoble-Vizille-Laffrey-Corps-Gap-Tallard / 115km / 2500 Höhenmeter

    Rauf und nieder immer wieder...

    So in etwa kann man den heutigen Tag beschreiben. Das betraf das Höhenprofil, das Wetter und auch die Stimmung...

    Am Morgen bin ich gegen 7 Uhr aus dem Bett gekrochen und dabei gemerkt, dass mir die letzten 3 Tage doch schon ein wenig in die Beinchen „gefahren“ sind. Irgendwie mochte ich auch nicht recht frühstücken, denn ich hatte gar keinen Appetit. Das Wetter machte auch weiter wie es angefangen hat – leichter Regen, was meine Stimmung auch nicht aufzuheitern vermochte. So legte ich mich nach dem Frühstück noch mal 20 Minuten hin. Danach hat es aufgehört zu regnen, und ich bin los. Zur besseren Gewichtsverteilung habe ich mich entschlossen, den Rucksack an den Rücken zu schnallen. Das Fahrverhalten vom Velo hat sich markant verbessert – nur, dass der Rucksack eigentlich gedacht ist, um schnell getragen zu werden. Nicht so ein Ding mit ergonomischen Trägern und Entlüftungssystem. Ich hatte das Ding den ganzen Tag am Rücken und hatte abends dafür schmerzende Schultern und rote Hosenträger auf der Haut... Nebst dem war auch ein bisschen mehr Gewicht auf dem Sattel, was mir südlich der Wirbelsäule auch ein bisschen zusetzte...

    Gleich hinter Grenoble ging es erst einmal ordentlich „rauf“, um 5 km später gleich steil wieder „nieder“ zu gehen. In Vizille angekommen, lotste mich das Navi geschickt durch den Ort, und nach der Ortstafel hab ich gemeint, ich fahre in eine Wand. Steigungen von bis zu 18% begleiteten mich auf den nächsten 8 km hoch nach Laffrey. Dabei musste ich ein paar Mal anhalten, um wieder zu verschnaufen. Etwa 2 km vor Laffrey musste ich noch mein Rücklicht einschalten, damit mich die Autofahrer im dichten Nebel noch gesehen haben. Apropos Autofahrer: Hier merkt man, dass Frankreich eine Velonation ist. Die Autofahrer warten geduldig bei unübersichtlichen Stellen, bevor sie überholen können, und wenn einmal ein Auto überholt, so macht sogar der entgegenkommende Verkehr Platz. Ist mir heute besonders aufgefallen... Je höher ich also kam, desto mehr Nebel kam auf, und meine Stimmung näherte sich dem Nullpunkt. Hab gedacht, das war’s dann jetzt.

    Endlich in Laffrey angekommen, bin ich in ein typisches Café eingekehrt. Da drin waren etwa fünf Einheimische zu Gast. Haben Wein getrunken und über die Politik gewettert. Neben mir saß eine alte Dame und hat Bohnen gerüstet. Ich gönnte mir meinen obligaten „Gipfel-Espresso“, eine Cola und ein Mars. Die Gäste fragten mich natürlich, was ich um alles in der Welt hier oben mit dem Fahrrad verloren hätte. Nachdem ich in meinem perfekten Französisch ;-) erklärt habe, von wo ich herkomme und hin will, da haben einige fast das Glas verschluckt. Begleitet von guten Wünschen bin ich wieder aufs Rad und hab mir auf den ersten Kilometern vor lauter Schlottern fast die Zähne ausgeschlagen. Zwei Kilometer weiter traf ich eine Statue von Napoleon hoch zu Ross beim place de rencontre an. Da habe ich mir gedacht, dass, wenn ich einmal in den Himmel kommen sollte und den treffe, dann werde ich ihm schon das Nötige sagen, warum er gerade diesen Berg für seine Route gewählt hat...

    Die Fahrt ging dann weiter über La Mure in Richtung Corps. Es war ein ständiges Rauf und Nieder, und ich habe nie richtig den Rhythmus gefunden. Die Aussichten waren aber herrlich und zusehends hat sich auch das Wetter gebessert. So beschloss ich, nach Corps erst einmal ordentlich zu essen. Es war ja auch schon halb eins. In einer Fernfahrer-Beiz habe ich mit meinem Carbonesel neben den Trucks parkiert. Schön zu sehen, dass es gleich ruhig wird, wenn man in diesem Outfit in der Pampa in ein Restaurant kommt. Der Wirt wollte mir erst einen Wein spendieren, was ich dankend ablehnte. So genoss ich ein Riesen-Entrecôte mit Nudeln, ein Dessert, einen Liter Wasser und eine Cola. Das Ganze hat inkl. 2 Bidons mit Sirup füllen gerade mal 21 Euros gekostet...

    Weiter ging die Fahrt dann über den Col Bayard auf 1’250 m.ü.M. Das war heute das Dach der Tagesetappe. Die Abfahrt nach Gap war sehr rasant und steil. Musste zwischendurch anhalten, da ich Angst hatte, dass es mir vor lauter Bremsen die Felgen verglüht. Das Wetter war mittlerweile herrlich warm, und ich habe es sehr genossen. Das war der stimmungsvolle Höhepunkt des Tages.

    Zum Dessert dann noch einmal hoch auf das Château Aspérge und dann runter zum Flughafen von Tallard. Dies war gleichzeitig der Etappenort von heute.

    Hier habe ich eingecheckt und mein Velo gleich aufs Zimmer genommen. Es hatte sogar einen Waschraum, wo ich einmal ein anderes Waschmittel als Express-Liquid an meine Wäsche lassen konnte...

    Dann wieder ein ordentliches Retablieren, Skypen mit der Familie, Route für morgen definieren, Bericht schreiben und dann ab ins Körbchen...

    Juhui. Morgen sollte ich laut dem Wetterbericht das erste Mal kurz tragen können... we will see...

    P.S.: Es kommen immer noch viele Mails. Freue mich immer wieder von Euch zu lesen...



  • 5. Tag / Tallard-Sisteron-Châtaux Arnoux-Digne les bains-Casterolle / 125km / 1'500 Höhenmeter

    Sorgen am Morgen - herrlicher Mittag - flauer Magen gegen Abend - spannender Abschluss

    In dieser Reihenfolge könnte man den heutigen Tag zusammenfassen. Geschlafen habe ich sehr schlecht. Bin immer wieder erwacht und habe dabei gemerkt, dass meine Beinchen schmerzen. Am Morgen um 7 Uhr aufgestanden und zum Frühstück. Das Wetter war leicht bewölkt und es war „erst“ 8 Grad warm. So beschloss ich, zuerst wieder wie gewohnt lang zu tragen.

    Nach dem Frühstück ging also die Reise los in Richtung Sisteron. Die Gegend erinnert an das Rhonetal im Wallis, nur etwas breiter. Links und rechts waren große Plantagen von Äpfeln, Pfirsichen und Nektarinen. Kurz vor Sisteron erblickte ich hoch oben die mächtige Burg, die ich eigentlich gerne besichtigt hätte. Kurz nach der Ortsausfahrt traf ich auf einen Früchtehändler mit einem Laden voller frisch gepflückter Äpfel. Es waren Gala-Äpfel und es hat herrlich gerochen. Ich habe gleich zwei Stück gekauft und mit dem Händler ein bisschen geplaudert. Er hat mir erklärt, dass ich jetzt keine Pfirsiche und Nektarinen mehr kaufen müsse, denn die Saison sei vorbei...

    Frisch gestärkt ging die Reise weiter nach Château-Arnoux-St-Aubin. Ich dachte, ich hätte schon einmal einen Wein mit diesem Namen getrunken und habe mir vorgestellt, in diesem Dörfchen einen Kaffee zu trinken. Das Dörfchen war aber leider ein Kaff, und beim Kaffee gab es nebenan eine Baustelle, was die ganze Sache auch nicht schöner machte. So fuhr ich halt weiter mit der Vorstellung, in Digne-les-Bains ein Fischgericht zum Mittagessen zu genießen. Der Weg zweigte aber schon vor dem Ort wieder in Richtung Berge ab, sodass ich beschloss, diesen zu nehmen, denn meine Beine fühlten sich nach dem Apfel gut an. Auf halber Höhe habe ich an einem typischen Imbissladen am Straßenrand Halt gemacht und dabei den alten Joseph kennengelernt. Er wollte nicht aufs Foto, dafür durfte ich aber seine Taube fotografieren. Ich bestellte ein Schinkensandwich und eine Cola. Er war gerade dabei, Baguette zu „zerbröseln“ und in einer Pfanne für seine Tauben bereitzustellen. Da nahm er einfach ein Stück Brot und schmierte mir damit ein Schinkensandwich. Da ich ja aufgehört habe, heikel zu sein, hat mir das nichts ausgemacht, denn ich hatte ja für den Notfall Imodium-Tabletten dabei...

    Nach einer weiteren Cola, einem Twix und zwei mit Grenadine-Sirup gefüllten Bidons ging es für mich zu einem historischen Moment... Ich konnte das Tenue auf kurz wechseln, da das Thermometer mittlerweile über 20 Grad geklettert ist und Joseph mir versicherte, dass es auch oben auf den Höhen sehr warm werde... Übrigens hat er mir zum Abschied noch ein Fläschchen Lavendel geschenkt. Gegen Sonnenbrand, Mückenstiche und sonstige Dinge. So wie es getönt hatte, ein Allround-Wundermittel... Das Ganze hat mich dann ganze 8 Euro gekostet. Habe ihm vor lauter Freude 15 gegeben und dafür ist er mit mir noch an den Straßenrand gekommen und hat mir dort alles Gute gewünscht...

    Die Fahrt ging weiter über den Col de Oderen und dann in Richtung Barême. Dort gönnte ich mir noch einen Espresso, bevor es dann die Serpentinen hoch zum Col de Leques ging. Die Gegend wurde immer karger und die Felsen immer eindrücklicher. Endlich oben angekommen, freute ich mich auf die anschließende Abfahrt nach Castellane, die mich mindestens wieder einen Millimeter Bremsbelag gekostet hat...

    In Castellane fuhr ich auf den Dorfplatz und schaute mich ein bisschen um. Dann stach mir das Hotel "Nouvel Hôtel du Commerce" ins Auge. Also drauf los. Mit dem Göpel an die Rezeption und nach einer kurzen Zimmerbesichtigung für 95 Euro die Nacht inkl. Frühstück eingecheckt.

    Nach dem Duschen und Kleiderwaschen wollte ich unbedingt noch den Grand Canyon du Verdon besichtigen. Mit dem Fahrrad wären es zum schönsten Aussichtspunkt hin und zurück 50 km mit einigen Steigungen gewesen. So fragte ich nach der Nummer von einem Taxi. Und dann kam George mit einem silbernen VW Touran. Er war 80 Jahre jung und hat 40 Jahre bei der Feuerwehr gearbeitet. Er kenne jeden Winkel von dieser Schlucht, denn früher hätten sie die verletzten Wanderer und Touristen zu Fuß mit der Trage aus der Schlucht retten müssen... Heute käme immer gleich der Helikopter. Das war das Einzige, was ich verstanden hatte, denn ich glaube, er hat sein Gebiss zu Hause gelassen. Der Mann war keine 1,40 m groß, denn der Sitz vom Touran war zuvorderst und ganz nach oben gestellt. Muss dann zuhause mal bei unserem Modell nachsehen, ob der Sitz auch so weit nach vorne gestellt werden kann... Bei einem Halt habe ich dann noch gesehen, dass bei den Reifen fast die Leinwand hervorkommt – abgefahren bis auf die Karkasse.

    Das war auch kein Wunder, denn George ist gefahren wie ein wilder Teufel. Immer voll auf dem Gas oder der Bremse. Ich habe schon viel erlebt, aber es wurde mir wirklich mulmig zumute, denn zeitweise ging die Schlucht bis zu 900 Meter in die Tiefe... Überholt hat er an Stellen, da hätte ich mich nicht mal getraut, nach vorne zu blicken. Die Kurven eng geschnitten und immer über die anderen Autofahrer geflucht. Ich würde den Fahrstil als sehr progressiv bezeichnen... Dazu liefen im Radio noch französische Arien... Ich hab gedacht, das war’s. Jetzt mache ich mit dem Velo eine Tour von fast 650 km und schließe mein Leben zusammen mit George in einem VW Touran ab? So viel Ironie wäre wahrscheinlich zu viel gewesen und nach gut 1 ½ Stunden Monsterritt bin ich wohlbehalten mit etwas weichen Knien wieder beim Hotel ausgestiegen... Ach übrigens: Die Schlucht war einfach GENIAL!

    Im Hotel habe ich dann noch drei Schweizer getroffen, die ebenfalls mit dem Velo unterwegs sind. Mit ihnen bin ich dann zum Nachtessen gegangen. Karin, die Immobilien-Maklerin, Erich, der Physiotherapeut, und Ruedi Bützer, Velohändler aus Bern. Bützer ist mal zusammen mit Beat Breu in den 80er Jahren im Cilo Aufina-Team gefahren und hat mehrmals an der Tour de Suisse und dem Giro d’Italia teilgenommen. War ein sehr unterhaltsamer Abend. Morgen beim Frühstück zeigen sie mir dann, was die ultimative Packung für einen solchen Trip ist. Sie haben nämlich maximal die Hälfte von meinem Gepäck dabei...

    Aber morgen heißt es für mein Gepäck ja sowieso „ENTSCHLACKUNG“!

    Beim nächsten Bericht mehr davon...

    P.S.: Vielen Dank dem Mitarbeiter von Kirchner, dass er Wochenend-Schicht schiebt und meine Berichte auch am Wochenende online stellt...



  • 6. Tag Castellane-Col de Luens-Col de Auby-Col de Valferriére-Col de la Faye-Col de Pilon-Grasse-Cannes / 85km / 1'500 Höhenmeter

    5 auf einen Streich und dann das Meer.....

    So ist der heutige Samstag verlaufen. Ich habe mich heute „erst“ um halb neun mit den 3 Bernern zum Zmorge getroffen. Dabei gaben Sie mir weitere wichtige Tipps für die Weiterreise und die Routenwahl. Gegen 10 Uhr sind wir dann losgefahren. Gleich nach Castellane hiess es schon ordentlich Brickets anlegen, denn die Steigung war ein kleiner Vorgeschmack auf den heutigen Tag. Dabei bin ich mit dem Hasen Ruedi Bützer gefahren und er hat mir auch hier ein, zwei Tipps gegeben, wie man in einen solchen Berg hineinfahren soll. Er muss es ja wissen, denn er hat mal in einem Tour-de-Suisse Zeitfahren einen 24-er Schnitt den Susten hoch hingelegt!!! So sind wir zusammen auf den Col de Luens, welcher immerhin auf 1'054 lag. Wir warteten noch auf die anderen Zwei, bevor wir die rasante Abfahrt in Angriff nahmen. Nach einer Stunde trennten sich unsere Wege, da die drei nach Nizza wollten und in Richtung Torenc abbogen.
    Da merkte ich wieder wie es ist, wenn man nicht im Windschatten fahren kann.....Wieder hoch auf den Col de Auby und wieder ins Tal hinunter. Die nächste Steigung wartete schon wieder auf den Col de Valferriére. Das Positive war, dass die Steigungen nicht allzu lang und steil waren. So konnte man sich auf der anschliessenden Abfahrt gleich wieder erholen. Wenn man gegen Süden schaute, so erkannte ich schön den Strassenverlauf auf der anderen Hügelseite. Das dumme war nur, dass wenn man dorthin gelangen wollte zuerst wieder runter ins Tal über eine kleine Brücke und wieder hochkraxeln musste. Auf der anderen Seite angekommen bietete sich ein wunderschöner Anblick der Felsen. Hätte nie gedacht, dass mir Felsen einmal Eindruck machen können, aber hier haben sie es geschafft.
    Dann ging es wieder hoch auf den Col de la Faye und oben angekommen war es passiert..............ich konnte das Meer das erste Mal sehen. Ein eindrücklicher Moment, welcher ich mir beim trainieren immer wieder vorgestellt hatte. Es war zwar noch ein paar Kilometer und den letzten Col entfernt, aber der Anblick war einfach cool.
    Weiter ging es noch über den 5-ten und letzten Col am heutigen Tag. Den Col de Pilon mit wiederum gutem Blick aufs Meer. Bei der Abfahrt bin ich noch bei einer Napoleon-Infotafel vorbeigekommen und dabei gelesen, dass die Jungs vor fast 200 Jahren in 7 Tagen von Cannes nach Grenoble maschiert sind. Châpeau!!
    Die rasante Abfahrt nach Grasse war mit vielen Schlaglöchern durchzogen und zwischendurch hat mein Velo ganz komisch geknirscht.......Hoffe der Rahmen hält das durch........
    In Grasse habe ich eine Parfum-Distillerie besichtigt. Hier ist ja die weltweit grösste Dichte an Parfum-Herstellern und Grasse gilt als Welthauptstadt des Parfums. Im ganzen Ort hat es einfach nur fein gerochen.....
    Hab mir mal 2 Flaschen Parfum ausgesucht und gleich in meinen super-leichten Rucksack gepackt.......
    Dann ging die Fahrt weiter die letzten 17 Kilometer nach Cannes. In Cannes konnte ich auch noch das Meer riechen und es war einfach nur herrlich. Bin dann einmal den ganzen Strip abgefahren, bevor ich die Auffahrt zum Hotel Carlton genommen habe. Das berühmteste Hotel an der der Côte d’Azur. Dem Parkplatzwächter gab ich mein Rad ab und anstatt einen Ferrari oder Bentley in die Garage zu fahren, durfte er meinen super Esel in die Garage stossen. Ein herrlicher Anblick. Dann habe ich mich nach dem einchecken erst einmal auf die Terrasse gesetzt und einen Croque Monsieur bestellt. Dabei betrachtete ich ein bisschen das Geschehen auf dem Platz vor dem Hotel. Wahnsinn, was Frauen so tagsüber alles tragen können.......Nach dem Essen und zwei Cola war ich 50Euro ärmer und begab mich aufs Zimmer. War keine 5 Minuten im Zimmer,, musste ich auch gleich wieder an die Reception!
    Mein Besuch war angekommen.....Mein Schwager Päuli und die Schwägerin Pauline haben mich besucht. Habe mich riesig gefreut über deren Kommen. Haben ihr kinderfreies Wochenende geopfert um mich zu besuchen. Nach dem Zimmerbezug sind dann Corina und François erst einmal Joggen gegangen. Wäre fast noch mitgegangen, aber hab ja noch was vor die nächste Woche....

    So konnte ich mich bereits dem Bericht und der Gewichtsreduktion von meinem Gepäck widmen.....

    Nachdem die Beiden wieder vom Joggen zurückkamen, sind wir der Promenade entlang gelaufen. Dabei habe ich mich auf dem roten Teppich einmal hingestellt, wo die Stars und Sternchen am Filmfestival jeweils defilieren.....Leider war der einzige Blitz, der von meinem iphone und geklatscht hat auch niemand, ausser er jagte gerade eine Fliege....

    Gegessen haben wir beim Italiener am Hafen. Herrlicher Salat und eine Riesen-Pizza. Nach einem kleinen Abstecher ins Casino, wo François die Kosten fürs Nachtessen fast wieder wett gemacht hat, sind wir wieder zurück ins Carlton und haben uns unseren Träumen gewidmet......

    Morgen geht’s dann an der Côte d’Azur entlang bis nach St. Tropez. Aber erst einmal am Frühstücks-Buffet schlemmen.........



  • 7. Tag Cannes-Fréjus-St.Tropez-Cavalière / 130km / 1'720 Höhenmeter

    Was du heute kannst besorgen...

    So lautete das Motto des heutigen Tages.

    Eigentlich war der Sonntag als Ruhetag gedacht, aber als ich die Strecke im Detail plante, wurde mir klar, dass von Cannes bis Barcelona noch ein ganz schönes Stück Arbeit vor mir lag. So beschloss ich, heute von Cannes nach St. Tropez zu radeln – etwa 80 km. Dort wollte ich ein gemütliches Hotel nehmen und den Tag friedlich ausklingen lassen.

    Am Morgen haben wir drei es richtig genossen und bis fast um 9 Uhr geschlafen. Dann ging es zum Frühstück auf der Terrasse des Carlton Hotels. Das Buffet war einfach herrlich, und ich konnte nicht widerstehen: Immer wieder bin ich leer ans Buffet und kam mit einem vollen Teller zurück. Wir haben über 1 ½ Stunden dort gesessen, gegessen und geplaudert. Es war so gemütlich, dass ich mich gut und gerne daran hätte gewöhnen können.

    Doch irgendwann hieß es doch packen und auschecken. Um 12 Uhr hat dann der Butler mein Fahrrad bereitgestellt, und ich habe ihm ganz nach 5-Sterne-Manier ein Trinkgeld gegeben. Es ist immer wieder schön, in verdutzte Gesichter zu schauen, wenn man mit dem Rad unterwegs ist...

    Nach dem Abschied von Corina und François bin ich "ganz dick" die Auffahrt hinuntergefahren, und schon war ich und mein Velo wieder allein auf der Reise. Die beiden haben mir übrigens einen großen Dienst erwiesen und etwa 10 kg Gepäck mit nach Hause genommen. Das war eine echte Erleichterung, die ich auf der Fahrt sofort spürte!

    Ich bin dann auf der Promenade von Cannes gestartet, um mich etwas warm zu fahren und durch den Verkehr zu schlängeln. In Richtung St-Raphaël ging es das erste Mal ordentlich in die Höhe und dann wieder ans Meer hinunter. So verlief das ganze Höhenprofil des Tages, mit einem Höhepunkt auf dem Col de Collebasse auf stolzen 129 Metern! Am Abend war ich dann doch erstaunt, dass ich insgesamt 1.720 Höhenmeter überwunden hatte.

    Meine Beine fühlten sich jedoch großartig an, und das leichtere Gepäck machte sich definitiv bemerkbar. Ich genoss den Tag in vollen Zügen und atmete tief die frische Meeresluft ein. Ohne es wirklich zu merken, war ich auch schon in St. Tropez angekommen. Dort bin ich an den Hafen gegangen und habe mir die beeindruckenden Yachten angeschaut. Es ist wirklich erstaunlich, was dort für ein Vermögen auf dem Wasser liegt.

    Trotzdem mochte ich noch nicht „Feierabend“ machen und beschloss, noch ein paar Kilometer weiterzuradeln – ganz nach dem Motto: „Was du heute kannst besorgen, musst du nicht mehr radeln morgen." Die Straße führte nun ein wenig vom Meer weg, und auf einmal fiel mir ein Schild auf mit der Aufschrift Kon Tiki. Neugierig folgte ich dem Wegweiser und landete in einer Ferienanlage. Dort standen kleine Wohneinheiten, ein Campingplatz, ein großer Spielplatz für Kinder und verschiedene kleine Restaurants – ein richtiges Feriendörfchen, das gemütlich aussah.

    Weiter ging die Fahrt durch herrlich duftende Pinienwälder, und dann kam der Anstieg zum Col de Collebasse. Obwohl 129 m ü. M. nicht nach viel klingt, können 2 Kilometer Steigung doch ganz schön „obsi“ gehen. Die Aussicht auf das Meer und die vorgelagerten Inseln (auf dem Bild sieht man die Île du Levant) war einfach atemberaubend. So beschloss ich, beim nächsten Hotel, das direkt am Meer lag, Halt zu machen. Ich wurde fündig beim Hotel Cavalière sur Plage. Ein Zimmer mit direktem Meerblick, Frühstück und WLAN für 83 Euro – da musste ich zuschlagen.

    Nach dem Duschen ging es dann zum Abendessen direkt am Meer. Was gibt es Schöneres, als den Sonnenuntergang zu genießen, während man am Meer sitzt? Es war fast schon kitschig schön und irgendwie schade, dass meine Frau nicht dabei war. Das hätte die Romantik kaum überbieten können... Ich wäre sicher wieder auf 100 Punkte gestiegen!

    Danach ging es früh ins Bett, denn morgen heißt das Motto: „König oder Prinz.“ Warum das? Das erfahrt ihr im nächsten Bericht.

    Ich wünsche allen einen guten Start in die neue Arbeitswoche!



  • 8. Tag Cavalière-Le Lavandou-Toulon-Bandol-les Calanques-Marseille-Martique-Fos sur Mer / 182km / 2'150 Höhenmeter

    König oder Prinz

    Die Etappe heute würde ich als königlich bezeichnen. Erstens bin ich das erste Mal in meinem Leben über 180 km mit dem Velo an einem Stück gefahren und zweitens war die Landschaft zum Teil wirklich majestätisch.

    Angefangen hat der Tag mit einem wunderschönen Sonnenaufgang am Morgen. Das Meer war ruhig und von meinem Balkon aus konnte ich das Schauspiel während dem Anziehen bestaunen. Nach dem Frühstück habe ich meinen Esel gesattelt und bin losgezogen. Die Strasse ging bis Le Lavandou noch dem Meer entlang und danach ging es definitiv wieder „opsi“. Die Fahrt war wiederum ein ständiges Auf und Ab und es war schwierig einen Rhythmus zu finden. Immer wieder kreuzten mich Velofahrer, oder ich habe solche überholt oder umgekehrt. Auffallend war, dass viele ältere Herren am Morgen schon mit dem Rennvelo unterwegs waren.

    Dann kam die Einfahrt in die etwas grössere Stadt Toulon. Es war ein Spiessrutenlauf mit dem Verkehr und immer wieder musste ich mich an einer Kolonne vorbei schlängeln. Nachdem ich bei ein paar Manövern den Anderen zugeschaut hatte, konnte ich jetzt auch einmal in der Mitte oder am Rand die Autos überholen. Die Strasse hatte aber immer wieder empfindliche Schlaglöcher, so dass mein Velo schon arg leiden musste. Hinzu kommen noch diese „liegenden Polizisten“; so nennt man die kleinen Rampen, welche den Verkehr zum langsam fahren zwingen sollen. Wahrscheinlich ist das eine Idee der Autoindustrie, dass die Stossdämpfer eher durgeschlagen sind. Auf jeden Fall habe ich heute mindestens 200 so Dinger überfahren. Wenn Du sie zu spät siehst, dann hilft nur noch Lenker fest umklammern und hoffen, dass es Dir auf der Rampe nicht den Göpel zerlegt...... wie gesagt, bis jetzt hatte ich Glück, aber mein Lenklager knirscht schon bedächtig. Hoffe es hält bis Barcelona.

    Nach Toulon ging es in das wunderschöne Hafenstädtchen Bandol. Weiter nach la Ciotat, wo ich beschloss die route du crête zu nehmen. Unser Nachbar Toni Käser hat mir im Vorfeld einen Ausdruck von diesen wunderschönen Felsen gegeben und ich habe mir vorgenommen da hoch zu fahren. Das habe ich dann auch gemacht, und zwar gerade um die Mittagszeit. Waren Steigungen bis zu 18% drin und es trieb mir schon das eine oder andere Schweisströpfchen auf die Stirne. Die Aussicht auf der Hochebene entschädigte aber für alle Strapazen. Es war einfach unbeschreiblich. Dazu kam noch die Ruhe, denn es hatte fast keine Touristen unterwegs.

    Rasant mit bis zu 30% Gefälle ging dann die Abfahrt nach Marseille. Zuerst wollte ich nach dem Motto fahren: „Wer bremst, verliert“, aber es wurde mir dann schon ein bisschen mulmig zumute. So habe ich auf dieser Teilstrecke sicher wieder ein bis zwei Milimeter Bremsbeläge verloren.

    Dann kam die Einfahrt in das grosse Marseille. Leider hatte mein iPhone keinen Strom mehr und ich beschloss den Wegweisern zum alten Hafen zu folgen. Auch das war zwischendurch ein Spiessrutenlauf mit Kolonnen links, rechts und auf dem Trottoir zu überholen. Wenn man Pech hat, bleibt man hinter einem Bus stehen (nicht allzu neuem Jahrgang) und wenn der bei grün losfährt, findet man sich in einer stinkigen und russigen Wolke wieder. Dann habe ich endlich den alten Hafen gefunden; mich in ein Kaffee gesetzt und an einer Steckdose das iPhone wieder ein bisschen geladen. Dazu zwei Espresso und eine Cola. Konnte dann wieder mit dem Navi fahren, welches mich geschickt am grossen Hafen entlang den Hügel in Richtung l’Estaque hoch geführt hat. Noch einmal ging der Blick zurück zur imposanten Kulisse der Stadt.

    Danach stieg es wieder deftig an in Richtung Martiques, wo dann wiederum ein herrlicher Ausblick auf die grosse Autobahnbrücke und den Etang-See wartete. Die letzte Schnellstrasse bis Fos-sur-Mer und die heutige Fahrt war geschafft. Wenn es nicht schon Abend gewesen wäre, dann hätte ich das 200-hundert noch voll gemacht. Die Beine waren sehr gut und die tollen Eindrücke haben mich extrem beflügelt. Habe ebenfalls ein gutes Verpflegungskonzept mit Bananen und Schokolade gefunden. So hat der Magen den Tag hindurch kein Loch und ich kann abends immer „e Mocke“ Fleisch reinhauen.

    Morgen geht es durch die berühmte Camarque. Hoffe dass mich in diesem Rhone-Delta nicht der Wind verbläst, denn ich habe noch ein paar Kilometer vor, dass das Budget bis Barcelona aufgeht.......

    Wünsche Euch einen guten Tag.......



  • 9. Tag Fos sur Mer-Salin de Giraud-Albaron-La Grand Motte-Palaves-Sète-Cape d’Agde / 181km / 215 Höhenmeter

    Ausrollen......

    So würde man im Fachjargon den heutigen Tag beschreiben, denn es ging vorwiegend flach weiter, was aber nicht immer einfacher sein muss........

    Nachdem ich die Nacht mit meinem Velo in einem Zimmer verbracht habe, bin ich um 7 Uhr aufgestanden und zum Frühstück gegangen. Dabei merkte ich, dass meine Beine schwer wie Blei waren. Nach einem guten Frühstück bin ich dann aber wohl gestärkt auf mein Rad gestiegen und konnte die ersten paar Kilometer schön einrollen. Nach dem Dorfausgang ging es auf lange gerade Strassen, welche nie enden wollten. Zu meiner linken Seite waren die grossen Raffinerien zu sehen und die Luft war durchzogen mit Schweröl- und Dieselgeschmack. Nach der herrlichen Luft der letzten Tage war das nicht gerade angenehm.

    Dann auf einmal bog die Strasse links ab gegen Salin-de-Giraud. Auf einmal stand ich vor einer Schranke und einem Hinweisschild für eine Fähre. Es war also keine Brücke die über die Rhone führte, sondern eine Fähre. So fuhr ich mit meinem Radel auf das Stück Stahl und liess mich über die grosse Rhone schippern. Ein paar Kilometer weiter unten fliesst dieser Fluss dann also ins Meer, was seinen Ursprung bei uns in den Walliser-Bergen hat. Das Wasser schaute aber nicht mehr so klar aus wie unterhalb vom Furka-Gletscher....

    Nach dem Übersetzen war ich also inmitten der Camarque. Hohes Schilf, endlose Weiten und hundsmiserable Strassen sollten mich für die nächsten 75 km begleiten. Die Aussichten zwischendurch waren atemberaubend und der Etang de Vaccarés, der grosse See inmitten der Camarque leuchtete wie ein blauer Diamant. Zum Glück war der Himmel ein bisschen bewölkt. Laut dem Kassier auf der Fähre habe es dann fast keinen Wind. Ansonsten könne der Mistral schon sein Unwesen treiben und die armen Radler zur Verzweiflung bringen. Dies war heute zum Glück nicht der Fall.

    Nach rund 90 km machte ich an einem „Strassen-Rand-Laden“ Rast, um mir etwas zu Essen zu besorgen. Katharina, die freundliche Bedienung, hat mich mit einem Original-Camarque-Muscat empfangen. Ich musste unbedingt ein Gläschen davon trinken. Junge, Junge, am liebsten hätte ich die ganze Flasche gelehrt. Leider liess es meine Gepäck-Strategie nicht zu, eine Flasche zu kaufen und auch meine Bidons wollte ich nicht mit dem feinen Saft füllen, sonst hätte es mich womöglich noch in ein Sumpfloch gehauen. Von denen hatte es links und rechts der Strasse jeweils genug. Trotzdem kaufte ich eine Saucisso de Toro, nachdem ich etwas davon degustiert hatte. Eine herrlich schmeckende Stier-Wurst. Ich liess mir die Wurst von Katharina aufschneiden und einpacken, damit ich unterwegs ein paar Stück essen kann...... Hab mir dann vorgestellt, dass ich dann abgehe wie ein junger, wilder Stier auf dem Drahtesel ☺

    Weiter ging die Reise über la Grande-Motté nach Palaves, wo ich zwecks Handy-Ladung Pause machte. Heute war das TomTom Gold wert, obwohl mich Lisa, so heisst die freundliche Stimme vom Navi, einmal auf die Autobahn geführt hat und ich erst beim zweiten Veloverbots-Schild die Bremse gezogen habe..... Ich habe Lisa das nicht nachgetragen, denn ansonsten führt sie mich gekonnt durch den Strassendschungel.......

    Nach Palaves führte die Strasse etwas nach oben in das Dorf Mireval. Ein wunderschönes Nest mit einer Kirche aus dem 9-ten Jahrhundert. Danach nach Frontignan-Plage, wo ich dann die Dünenstrasse nach le Cap d’Agde nahm. 20 Kilometer einem Strand entlang, welcher nur durch eine kleine Düne von der Strasse getrennt ist. War herrlich, obwohl der Wind ein bisschen blies. In le Cap d’Agde war gleichzeitig auch mein heutiges Etappenziel.

    Nach dem Waschen der Kleider, Skypen mit Familie und Duschen bin ich noch an den Hafen gelaufen und habe mir dort wieder die nötigen Kohlenhydrate reingefuttert.

    Morgen wird es voraussichtlich die längste Etappe geben. Rund 190 km hat das Navi einmal veranschlagt. Passieren werde ich dabei auch die spanische Grenze...... Hossa!!!!

    Ich bekomme immer noch Mails von Euch. Schön war zu lesen, dass Lenya, die Tochter von Yvonne, ganz begeistert von der Reise ist und es toll findet, dass man mit dem Velo ans Meer fahren kann........ Richtig „härzig“.

    Am Abend hat mich dann noch die Berner-Radgruppe angerufen und nach meinem Befinden gefragt. Dabei haben sie noch eine Korrektur angebracht. Der Erich heisst nicht Erich und ist auch nicht Physiotherapeut, sondern er heisst Richard und ist Chiropraktiker. Jetzt ist für mich auch klar, dass zu viel Velofahren vergesslich machen kann und mancher Radprofi gar nicht mehr weiss, was er alles geschluckt hat. Die können ja gar nichts dafür.........

    In diesem Sinn wünsche ich Euch einen unvergesslichen Tag und sage für heute Adieu und morgen dann Hasta la vista............



  • 10. Tag Cape d’Adge-Beziers-Narbonne-Perpignan-le Perthus (Grenze)-Figueres-Rosas / 200km / 1'000 Höhenmeter

    Einmal die Nase auf den Schleifstein gedrückt, oder wie es immer wieder „obsi“ geht.

    So könnte man den heutigen Tag beschreiben. Kilometertechnisch der längste Trip und emotional ein Wechselbad der Gefühle. Aber alles der Reihe nach.

    Heute Morgen bin ich bereits um 6 Uhr aufgestanden, da ich früh los wollte. Da das Hotel das Frühstück „erst“ ab 8 Uhr servierte, verpflegte ich mich mit Baquette, dem Rest meiner Toro-Wurst und zwei Nektarinen. Dann ging die Reise um 7 Uhr bei Dunkelheit los. Auf den Strassen war ich fast der Einzige und meine Lisa (Navi) muss wohl noch im Tiefschlaf gelegen haben, denn schon nach ein paar Kilometern führte sie mich wieder auf eine Autobahn und hat dann komplett den Faden verloren. So fuhr ich nach Gefühl einmal in die richtige Himmelsrichtung nach Bezier. In Agde selber habe ich mich dann derart verfahren, dass ich durch elend schmale Gassen kam. Wenn jemand die Jalousien schnell geöffnet hätte, dann hätte es mich gleich rückwärts aus dem Sattel gehoben. Dann sah ich auf einmal eine Brücke, welche ich gedachte zu überqueren, aber dazu musste ich mein Velo mit samt Gepäck zuerst etwa 50 Stufen hochbuckeln. Da kam mein 1’000-iger Stägeli-Training auch noch zu seinen Ehren.

    Endlich hatte ich die Richtung und mein Navi wieder den Faden gefunden.

    Ausgangs Beziers hat es mich dann erwischt. In einer Kurve merkte ich, dass mir mein Vorderrad wegschmierte. Ein Plattfuss. Hat mich schon lange gewundert, dass es nicht schon früher passiert ist. Die Ursache war ein bostich-grosses Metallteil, welches den Weg durch den Reifen in den Schlauch gefunden hat. So ein Mistvieh, dachte ich. Da fährste 1’200 km über Stock, Stein, Schlaglöcher und liegende Polizisten und dann bremst dich so ein kleines Sch....-Ding. Natürlich war das Vorderrad blitzeblank sauber, so dass ich nach dem kleinen Mechaniker-Einsatz ausgesehen habe wie ein Kaminfeger....

    Mit Gasbomben-Technik das Ding wieder auf Druck gebracht und eingebaut und weiter ging’s. Zum Leidwesen wurde das Wetter immer schlechter und gegen Narbonne hat es dann begonnen zu regnen. Schön, dachte ich. Wie geht es denn meinen Regenhosen, Regenkappe und Regenüberziehschuhe zuhause? Die hatte ich nämlich am Sonntag meinem Schwager zwecks Gewichtsoptimierung mitgegeben. So hat es mich ordentlich durchgespühlt und immer wenn mich ein Lastwagen überholt hat, hatte ich anschliessend etwas Sand im Gesicht und Mund..... Nur am Rande sei hier erwähnt, dass es keinen Radstreifen gab und auch die Strassen nicht sonderlich breit waren.

    So stieg ich auf einer Anhöhe etwa 40 km vor Perpignan vom Sattel und ging in einer Tankstelle die Bidons auffüllen. Der Tankwart sagte mir, dass das Wetter am Nachmittag besser werde und es bis Perpignan nur noch flach gehe. Nebenan war gleich ein Restaurant und ich beschloss dort einen wärmenden Espresso zu trinken. Als ich als einziger Gast eintrat, kläffte mich so ein kleines wuscheliges Tier an. Im ersten Moment dachte ich; ja beiss mich nur in meine Waden. Die sind mittlerweile so hart, dass Du kleiner Kläffer dir gleich die Zähne ausbeissen wirst...... Stand da und lies mich also anbellen; da kam auch schon die Hausdame und stauchte mich auch gleich zusammen, da ich tropfte wie ein alter Wasserhahn. Nachdem ich tropfend und mit hängenden Ohren an der Bar Platz genommen habe, ist mir so richtig der „Leck-mich-am Arsch“ gekommen. Da habe ich mir wirklich ernsthaft die Frage gestellt, für was das alles gut sein soll...... Hab unmotiviert auf meinem Handy rumgedrückt und dabei die aufmunternden Mails von Euch gelesen. Ob man’s glaubt oder nicht, das hat wieder die Kampfgeister in mir geweckt. Regenjacke angezogen, Brille geputzt, 1 Euro 20 für den Espresso hingeknallt und auf in den Kampf.

    Bei der anschliessenden Abfahrt hat es mir vor lauter Schlottern wieder einmal fast die Zähne ausgeschlagen, aber am Horizont sah ich die ersten Aufhellungen. Dann kam aber schon das nächste Ungemach. Der Wind! Mein Freund Oli hat mir im heutigen Mail davon berichtet, dass er die Gegend wie seine Westentasche kennt (Danke Oli für den Naturkunden-Unterricht). So wie mir war, musste es der Marin-Wind sein. Auf jeden Fall blies er mir voll in die Visage. Das einzig Positive dabei war, dass meine Brille schnell wieder guten Durchblick freigab, da die Wassertropfen sofort weggeblasen wurden.

    Dann passierte ein Wunder. Von einer Seitenstrasse bog ein Traktor mit einem Anhänger voller frisch geernteter Trauben auf die Hauptstrasse ein. Ich konnte mich etwa einen halben Meter hinter dem Anhänger in den Windschatten begeben und so die gut 10 nächsten Kilometer mit 35 km/h dahingleiten. War das herrlich. Als der Traktor abbog, hab ich schnell gehalten und dem Fahrer ein lautes „merci, merci beaucoup“ zugerufen. Wieder einmal eines dieser verdutzten Gesichter. Ich liebe sie.....

    Danach war der Wind wie abgestellt und kurz vor Perpignan waren die Strassen auch wieder trocken. Mittlerweile hat aber meine Kette einen elenden, kreischenden Lärm verursacht, dass ich anhalten musste, um eine Gefechts-Schmierung durchzuführen. Dazu wird die sich bewegende Kette richtig mit Öl getränkt, so dass sie richtig tropft. 2 Minuten einwirken lassen und dann die Kette durch einen Lappen führen, um das überschüssige Kettenöl abzuwischen. Kinder, Kinder. Hat die Kette sich gefreut. Hat fast von alleine gedreht und nur noch ein leises Surren von sich gegeben. Herrlich! Man kann eben auch an kleinen Sachen seine Freude haben....

    Nach Perpignan ging die Reise nach Le Boulou und weiter die Rampe hoch zum Passübergang in le Perthus oder wie die Spanier sagen el Pertus. Ein kleines Nest, wo viel los ist und auf der Höhe eine mächtige Burg. Danach die rasante Abfahrt in Richtung Figueres. Kurz vor Figueres den Abzweiger nach links in Richtung Rosas. Da hat es mich dann bei 28 Grad die letzten 15 Kilometer so richtig angeblasen und ich bin nach exakt 200 km vor dem Hotel vom Sattel gestiegen. Hatte ein richtiges Grinsen im Gesicht und für mich war die Welt wieder in Ordnung. Das Zimmer mit Meerblick bezogen und retablieren.

    Die Kleider das letzte Mal mit Express-Liquid gewaschen und alles zum Trocknen gehängt. Ein bisschen am Meer spazieren, um die Beinchen zu vertreten und dann zum Nachtessen das obligate Stück Fleisch.

    Morgen ist schon der letzte Tag der Tour. Habe mir vorgenommen, ein Bierchen in Lloret de Mar zu trinken und dann die letzten 75 km der Küste entlang zu fahren. Um 22 Uhr sollte ich spätestens am Hafen von Barcelona sein. Denn um 23 Uhr läuft die Fähre mit oder ohne mich aus.

    Ob ich es schaffe oder nicht? Das sagt Euch der Bericht!

    Bis dann.........



  • 11. Tag Rosas-Girona-Lloret de Mar-Blanes-Mataro-Barcelona / 168km / 1'200 Höhenmeter

    Geschafft!!!

    So könnte man den 11. Tag zusammenfassen. Aber bis dahin war es ein hartes Stück Arbeit.

    Ich habe in meinem großen Bett wunderbar geschlafen und bin um 7 Uhr aufgestanden. Das Frühstück war „erst“ ab 8 Uhr. Am Morgen hatte es noch Nebel, was die Stimmung am Meer sehr mysteriös erscheinen ließ. Nach dem Frühstück ging es an die letzten Vorbereitungen; unter anderem den Po mit Original-Engadiner-Sattelcreme einstreichen. Ich kann die Salbe nur empfehlen – ohne sie hätte ich es nie geschafft, und mein Po wäre wund gewesen.

    Um viertel nach 9 Uhr bin ich dann losgefahren. Meine Lisa (das Navi) verhalf mir zu einem echten spanischen Hinterland-Sightseeing auf Nebenstraßen mit Hühner- und Schweinefarmen und sogar einem Schlachthof. So wechselten sich die Gerüche in strammer Weise ab.

    Kurz vor Girona war die Nebenstraße auf einmal zu Ende, denn sie hatten einfach einen Bahnübergang geschlossen, indem sie einen Schutthaufen auf die Straße gekippt hatten. So bin ich ein Stück über einen Feldweg marschiert und dann wild über die Gleise gehüpft. Auf der anderen Seite ging es dann weiter durch kleine Dörfer. Girona habe ich dann südlich „gestreift“ und habe dann wieder Kurs an die Küste genommen. Und da hat es angefangen.

    DER WIND!

    Alles, was ich bisher an Gegenwind erlebt habe, gehört ab sofort in die Windelabteilung. Es war ein richtiges Mistvieh: zäh, stark und zwischendurch richtig böig und bösartig. Der Wind zerrte stark an meiner Aerodynamik und an meinen Nerven. Wenn ein Lastwagen mich überholte, drückte mich der „Bugwind“ des Lastwagens zuerst von der Straße und danach riss er mich fast unter den Anhänger. So rührte ich am Lenker herum wie ein Koch in der Suppe, um nicht im Straßengraben oder unter den Reifen zu landen.

    Anfänglich wollte ich mir die Freude am letzten Tag nicht nehmen lassen, doch ich erfuhr am eigenen Leib, dass die Costa Brava eigentlich „wilde Küste“ heißt. Dies nicht nur wegen der felsigen Küsten, sondern auch wegen des stürmischen Seewinds, der von Surfern und Kitesurfern sehr geschätzt wird. Einige von ihnen habe ich auch auf dem Wasser gesehen, und sie sahen aus, als hätten sie den Doppelturbo montiert.

    Ein paar Kilometer nach Girona habe ich dann den Links-Abzweiger nach Lloret de Mar genommen. Der Wind blies jetzt fast noch fester, aber ich wollte unbedingt mal Lloret sehen. Dass es vorher noch ein bisschen den Berg hochgeht, hat mir niemand gesagt. So war meine gute Laune vom Morgen dahin, und ich habe mich einmal richtig aufgeregt.

    An einer Tankstelle wollte ich meine Flaschen wieder mit Wasser und Limo füllen. Da fragte mich die Tankstellen-Wartin zuerst auf Spanisch (was ich nicht verstand) und dann auf Englisch, ob ich das Wasser zum Kühlen bräuchte. Ich sagte nein, zum Trinken. So wie ich sie verstanden hatte, wollte sie mit mir einen kleinen Scherz machen. Ich kann euch sagen, ich hätte ihr die Flaschen am liebsten um die Ohren geschlagen, denn ich fand das gar nicht lustig. Ich habe dann gesagt, dass ich das Wasser brauche, um die Kette zu kühlen, denn die sei heiß wie glühende Kohlen vom Gegenwind-Pedalen. Ich denke, sie hat den Scherz nicht geschnallt, oder ich habe mich etwas unglücklich und sprachlich ungeschickt ausgedrückt. Und da war es wieder – das obligate verdutzte Tagesgesicht.

    Trotz des Winds musste ich beim Weiterfahren über die Situation schmunzeln, da mir noch allerhand Sprüche in den Sinn kamen.

    In Lloret angekommen, gönnte ich mir in einem Strandbeizli eine Portion Spaghetti und lud mein iPhone auf. Das TomTom frisst ziemlich viel Strom. Ich kam mir vor wie ein Junky. Anstatt nach der nächsten Nadel zu suchen, lief ich mit dem Stromkabel durch die Restaurants. (Diesen Teil bitte nicht den Kindern erzählen – das ist pädagogisch nicht sinnvoll und gibt nur unnötige Fragen.)

    Nach dem Essen ging die Reise der Küste entlang weiter. Der Wind war immer noch gleich, und mit jedem Kilometer wurden meine Beine leerer und leerer. Dazu kam, dass die Engadiner Po-Salbe langsam am Anschlag war und mein entsprechendes Körperteil zu schmerzen begann. So rang ich auf dem Sattel herum wie ein kleines Kind, das aufs Klo muss.

    Ich quälte mich also die nächsten Kilometer bis etwa 10 Kilometer vor Mataró, als José aus einer Seitengasse mit seinem Trek-Renner bog. Ich fragte ihn, ob ich ein bisschen „schätzen“ dürfe. Er meinte, für einen Trek-Fahrer aus der Schweiz mache er fast alles, und so konnte ich mich die nächsten 25 Kilometer bei José ans Hinterrad heften. Dass es zwischendurch ein bisschen „tröpfelte“ (vom Schweiß von José), tat meiner Wohltat des Hinterherfahrens keinen Abbruch.

    Leider erlitt José ca. 15 Kilometer vor Barcelona einen kapitalen Hinterrad-Platzer, was ihn fast aus dem Sattel hob und mich beinahe zum „José-Überfahrer“ machte. Er meinte, ich solle ruhig weiterfahren, denn er habe sowieso genug und kehre um. Er wollte unbedingt noch ein Foto mit mir machen, um es seinen Trek-Kumpels zeigen zu können. Da sieht man mal wieder, dass Marken verbinden können.

    Die letzten Kilometer waren rein optisch ein Genuss. Bei José habe ich auch gelernt, wie man sich durch spanische Kolonnen „pflügt“ und welche Handzeichen in einem Kreisverkehr zu machen sind. Darauf bin ich dann wie ein Einheimischer gefahren.

    In Barcelona habe ich den Hafen auf Anhieb gefunden und bin nach 11 Tagen, 1.582 Kilometer und 14.793 Höhenmetern vom Rad gestiegen. Nicht so elegant wie am ersten Tag, aber ich kam unfallfrei vom Gaul herunter. Mein Smiley hättet ihr sehen sollen. Zum Glück gab es beim Helm eine Begrenzung, sonst wäre der Mund rundherum gegangen.

    Dann habe ich am Hafen eingecheckt und sie teilten mir mit, dass ich um viertel vor zehn wieder hier sein müsse, da mich dann der Bus zur Fähre brächte. Ich habe gefragt, ob ich auch mit meinem Rad hinfahren könne. Sie verneinte vehement und wiederholte noch einmal viertel vor zehn. Wenn die gewusst hätten, wo ich mit meinem Velo schon überall durchgekommen bin...

    Dann ging ich erst einmal in ein schickes Hafenrestaurant, stellte meinen Gaul an einen Tisch und gönnte mir ein Gläschen Champagner. Soll ja nicht zimperlich sein. Nach dem wahrscheinlich besten Entrecôte meines Lebens machte ich mich auf zum vereinbarten Treffpunkt. Dort musste ich mein Velo in den Schlund dieses Reisecars stecken. Der Car fuhr mit uns direkt auf die Fähre, und wir konnten dann aussteigen und unser Gepäck wieder zu uns nehmen. Mein Velo wurde vorsichtig parkiert, und der Car fuhr wieder von Bord.

    An der Schiffsrezeption habe ich dann meinen Schlüssel für die Kabine bekommen. Eine 4er-Kabine mit Dusche und Klo für mich alleine. Wenn das mal wieder nicht versnobbt ist, dachte ich, und hatte eine schelmische Freude. Ich war nämlich immer noch schweißig und klebrig von meiner kleinen Tagestour.

    Nach der Dusche zog ich mich wieder an und ging aufs Deck, um die Abfahrt der Fähre zu verfolgen. Dabei lernte ich noch Beni vom Allgäu kennen. Der ist Bootsschreiner, lebt in Barcelona und ist auf der ganzen Welt unterwegs, um die Boote umzubauen. Letzten Winter hat er an der Yacht vom König von Katar „gefummelt“. Er erzählte mir noch ein paar Geschichten und machte sich dann wieder aus dem Staub.

    Ich ging in meine 4er-Kabine, machte mein Körbchen zurecht und wurde vom sanften Zittern des Schiffes in den Schlaf begleitet.

    Am Morgen bin ich dann um 6 Uhr aufgestanden, um das Einlaufen im Hafen nicht zu verpassen.

    Nach dem Ausladen schwang ich mich wieder auf meinen Renner und wollte beim Grillmeister am Ballermann gleich eine Currywurst zum Frühstück genießen. Leider öffnen die in der Nebensaison erst um 10:30 Uhr. Also bin ich ins Lino’s direkt vor dem Riu San Francisco gegangen und gönnte mir einen Espresso und ein Gipfeli. Die Currywurst hole ich nachmittags nach.

    Danach war Bericht-Fertig-Schreiben angesagt, damit meine lieben Leser auch das Happy End mitbekommen.

    Nach dem Abschicken dieses Berichts schwinge ich mich aufs Rad und fahre noch die letzten 65 Kilometer bis nach Cala d’Or. Ich beziehe die Wohnung, wasche die Kleider, rasiere mich und hole dann die Familie frisch „gestriegelt“ vom Flughafen ab.

    Ab dann gilt: F E R I E N!

    Vielleicht zeige ich meinem Velo noch die eine oder andere Tour, um das Strampeln nicht ganz zu verlernen. Schließlich muss ich mit meinem Freund Silvio noch mindestens einen Gipfel-Espresso auf dem Kloster San Salvatore genießen. Aber erst, wenn wir die Siegeszigarre geraucht haben.

    So! Das waren meine Berichte von der Tour. Schön, dass ihr dabei wart.

    Für mich war es ein ganz besonderes Erlebnis. Warum und wieso man so etwas macht, kann ich eigentlich nicht abschließend beantworten, aber wenn man ein solches Ziel gesetzt hat und es auch erreicht, dann ist die Freude halt schon „scheiß-groß“. Bei diesem Projekt galt auch besonders: „Der Weg ist das Ziel.“

    Nicht zuletzt hat es mir auch für mein Berater-Business einige gute Fußnoten mitgegeben.

    Ich freue mich darauf, euch einmal persönlich zu treffen, damit ihr mir erzählen könnt, wie ihr die Tour erlebt habt. Meine Version habt ihr ja gelesen. In diesem Sinne ALLES, ALLES GUTE und zu meinem kleinen Abenteuer noch ein passendes Zitat von Paulo Coelho:

    „Eines Tages wachst Du auf und es gibt keine Zeit mehr, das zu tun, was Du tun wolltest: Also tue es jetzt!“

    En ganze liebe Gruess a Alli!
    Martin, le pédaleur